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Erfahrungsbericht

Erfahrungsbericht „inneres Kind“: Vom Ringen mit meinem Funktionsprogramm

Ein Hinweis zu Anfang: EXit! habe ich auf die Fahne geschrieben, Veränderungsprozesse anfass- und nachvollziehbar zu machen, so dass sich die Leser*innen mit ihren eigenen Herausforderungen und Themen hier wiederfinden. Aus diesem Grund teile ich in meinen „Erfahrungsberichten“ sehr persönliche Erfahrungen im Zusammenhang mit meinem Changeprozess und Persönlichkeitsentwicklung – und kennzeichne die Texte entsprechend für die Leser*innen, die mehr an neutralen Fachtexten und Übungen interessiert sind.

Vom Ringen mit meinem alten Funktionsprogramm

Ich habe so viel aufgegeben. Selbst meine Beziehung, von der ich viele Jahre dachte, hier bin ich angekommen, hier sind wir im Gleichtakt, denken Gleiches, wollen Gleiches, da ist Liebe. Nur wurde das Ausleben des Ganzen immer weiter herausgeschoben, aber ich wusste ja um all unser Potenzial – und all die „aktuellen“ Schwierigkeiten meines Partners. Bis ich mir vor wenigen Monaten eingestehen musste: All das hatte nur so lange Bestand, wie ich auch hier funktionierte, Bedürfnisse auf morgen vertagte, tiefe Verletzungen wegdrückte, anpassbar war bis zur eigenen Unkenntlichkeit. Ich hatte selber unterschätzt: Während all der Jahre auf der Wartebank ist in mir doch viel in Bewegung gekommen. Die, die ich früher war bin ich nicht mehr.

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Ich habe meine Firma heruntergefahren: 15 Jahre Krieg & Frieden Agenturdasein, 7/24, Wichtig- und Bedeutungslosigkeiten. Ich habe mich abgewandt von insgesamt 25 Jahren Entertainment Industrie ohne zu wissen, wo mich das hinführt und wie ich nach meinem endlichen Neustartpuffer finanziell dastehe. Werde ich wieder gut auf die Beine kommen? Was wenn nicht? Zurückgreifen und mit dem Alten weitermachen? Nein, das ist unvorstellbar für mich. Die Tür habe ich zugeschlossen und den Schlüssel weggeworfen. Es bleibt nur der Blick nach vorne ins Ungewisse.

All das habe ich getan, um mich nur wenige Monate später erneut von früh bis spät an einem neuen Schreibtisch wiederzufinden. Ein anderes Thema, ich arbeite an EXit!, aber das gleiche Lebensgefühl des permanenten Drucks und Funktionierens. Der Wecker muss wieder um 5.50 Uhr schellen, danach Meditation, eine Stunde Yoga, gen Schreibtisch hetzen: Was schon wieder eine halbe Stunde später Arbeitsanfang als geplant – da wird heute Abend länger gearbeitet! Warum? Muss ich das? Musste ich das je? In mir taucht Verwunderung auf: Ja klar, was sonst?! Was sonst? „Leben“ vielleicht? Ich habe die Agentur nicht geschlossen und bin ins Nichts abgesprungen, um nur in einem anderen Bereich den gleichen Wahnsinnstakt weiter zu schlagen. Ja, ich wollte inhaltlich etwas anderes ausprobieren, aber ab jetzt sollte für mich auch der Vorsatz gelten: Ich erlaube und erschaffe mir ein GANZES Leben, eins mit Raum für Partnerschaft, Freunde, Freizeit und und und vielleicht selber einmal gehalten werden. Die Zeit, die wirklich zählte war bisher immer die Arbeitszeit, sie schien mehr wert zu sein – und alles andere fiel ihr immer wieder zum Opfer.

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Was also tun? Wie kann ich das mit dem GANZEN Leben angehen? Ich war immer eine begabte Mathematikerin, aber wie auch immer ich vor mich hin „rechne“: Bei einem 24-Stunden-Tag – und daran ist ja nun mal nichts zu rütteln – bleibt nach gut  12 Stunden Arbeit weder viel Zeit noch und vor allen Dingen die Kraft für „den Rest des Lebens“. Ich schiebe die Variablen hin und her, komme aber nicht umhin festzustellen: Eigentlich kann ich nur bei der Arbeitszeit kürzen, der Rest ist schon optimal und minimal getimt.

Wer sind wir, wenn wir nicht mehr nur funktionieren?

Und da habe ich ins Schwarze getroffen: Ich fühle eine plötzlich aufkommende, starke innere Unruhe, eine Enge in meiner Kehle, als würde sie jemand zudrücken, und mich im wahrsten Sinne des Wortes in meiner eigenen Haut unwohl. Ich meine das ernst: Das sind unmittelbar wahrnehmbare, körperliche Reaktionen auf nur einen, diesen Gedanken. Alarmstufe rot-orange. Die Attacke trifft mich so sehr, dass ich dieses Mal nicht wegsehen kann. Warum setzt schon der Gedanke daran, mein Leben nicht vollkommen dem Funktionieren zu widmen, bei mir Schockreaktionen, ja Angst frei? Woher kommt das?

Und das Leben ist ein großzügiges, weises – wenn man es lässt. Und dieses Mal lasse ich es indem ich dem Impuls zur heutigen Meditation meines aktuellen online Kurses folge. Noch tief im vorherigen Gefühl lasse ich mich auf diese Sitzung ein – das Thema lautet „inneres Kind“. Ja, ja, auch ich habe mich jahrelang diesem Thema verweigert, es als unsinniges Blabla abgetan. Irgendwann habe ich die Waffen gestrichen und: Die Arbeit mit der Kleinen kann wirklich Berge versetzten. Wir müssen nicht alles verstehen: Es gibt viel mehr als wir aktuell zu begreifen in der Lage sind. (Hier findest du mehr zum Begriff des inneren Kindes, eine Übung zur ersten Annährung an dein inneres Kind und eine im Umgang mit ihm im Alltag.)

Meine Begegnung mit meinem inneren Kind

Und wer begegnet mir in dieser geführten Meditation, wen fühle ich plötzlich ganz tief in mir? Ein kleiner Säugling, der mit der Selbstverständlichkeit aller Neugeborenen auf die Welt purzelt: Halt mich, sieh mich, nähre mich, freu dich auf mich, lieb mich! Aber was, wenn in dieser bewegten Familie gar nicht genug Raum, keine Kapazität für all das war? So viele Baustellen, so viel bindende Vergangenheit. In dieser Meditation finde ich ein kleines Wesen, das zutiefst verwirrt, ja geschockt ist ob des Fallens in diese neue, mit sich selbst zu beschäftigte und verwobene Realität. Wie durch den US-amerikanischen Physiologen Walter Cannon in der „Fight-or-Flight“ Theorie dargestellt, verfügen wir in Gefahrensituationen über drei Kernreaktionen: Kampf, Flucht und Erstarrung. Welche Möglichkeit blieb mir, der Neugeborenen? Genau!

Plötzlich erinnert mich dieses Gefühl, das ich gerade durch den Säugling tief in mir erfahre, an Momente in meinem jetzigen Leben. Ich kenne das, ohne es vorher jemals bewusst in Verbindung gebracht zu haben: mich bei potenzieller Gefahr innerlich zusammenrollen wie ein Igel, auf „unsichtbar“ umstellen in der Hoffnung, dass der nächste Aggressionsausbruch an mir vorbeizieht.

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Die Meditation führt mich nun ein paar Jahre weiter. Plötzlich sehe ich meine Kleine tief verstrickt in Machen und Tun und Erfüllen und Gefallen, in die Großen tragen, ihnen Halt geben wollen. Und ich sehe die Reaktion meiner damaligen Umwelt auf scheinbar nicht perfektes Verhalten oder besser deren eigene Frustration, Schmerz und Unfähigkeit: komplette Ausgrenzung. Ich erinnere mich erneut an Tage, während denen kaum mit mir gesprochen wurde und wenn in genervtem, aggressivem, bedrohlichem Ton. Ich sehe die Kleine allein in ihrem Zimmer sitzend in Unsicherheit, Einsamkeit, komplettem Unverständnis und tiefer Verzweiflung über diese ständig um – sich – -schlagenden Stimmungen.

Ein Teil dieses erstarrten Säuglings wirkt immer noch in mir und versucht sich durch (mein) entsprechendes Verhalten zu schützen. Mein zwanghaftes Funktionieren taucht erneut vor meinem inneren Auge auf: ein perpetuum Mobile aus fieberhaftem Aktionismus unter dem sich ein enormer Druck, sprachlose Ohnmacht und Angst verbergen. Ich weiß, dass es sich von außen verrückt anhört, aber ich fühle hier tiefe Existenzangst, Panik.

Und so schließt sich der Kreis: Was mir von je her meine Daseinsberechtigung und auch einen Rahmen gegeben hat, ist diese Familien-/Rolle. Im Außen erfüllen, es allen recht machen, die engagierteste sein, ein Gespür für die anderen zu haben und das, was sie brauchen war mein Selbstschutz – der Verlust des eigenen Weges, ja Selbstgefühls und für mich zu gehen mein Preis.

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Ich weiß: Falls du noch nicht mit deinem inneren Kind gearbeitet hast, hört sich das wahrscheinlich sehr verrückt an. Aber aus meiner Erfahrung kann ich sagen: DAS sind unfassbar wertvolle Momente! Rational war mir einiges schon vorher klar, aber diese nun einsetzende Welle tief empfundener Empathie für die Kleine und letztendlich die immer noch rödelnde Große setzt Heilung in Gang. Sie verändert mein Bewusstsein für meine heutige Realität. Vieles startet über den Verstand. Rutscht es durch die Hinwendung in dein Innerstes dann „eine Ebene tiefer“ in Bewusstsein und Gefühle Zulassen, bereitest du dir den Boden für tiefe Heilung und wirkliche Veränderung im Außen.

Ich werde das Erlebte tiefer beleuchten und schauen, wie ich im Hier und Jetzt damit umgehen kann. Welche komplett neuen, freieren Verhaltensalternativen ergeben sich daraus für mein Leben? Für den Moment aber belasse ich es dabei, er fühlt sich zu besonders an als ihn durch erneuten Aktionismus ungefühlt verstreichen zu lassen.

Also: To be continued!

In eigener Sache: Es ist mir nicht leicht gefallen, diese sehr persönlichen Erfahrungen nieder zu schreiben. Ich möchte euch damit ermutigen, euch auf der Spur zu bleiben, denn es lohnt sich! Es würde mich interessieren, ob ihr mit einem solchen Text überhaupt etwas anfangen könnte und so freue ich mich sehr über Kommentare und Anregungen.

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