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Einführung

Das innere Kind – worum geht es da eigentlich genau?

Eine Annäherung an ein viel besprochenes Konzept

Seit Tagen befinde ich mich erneut in einem tiefen Prozess, hadere mit alten Themen, die meinen Weg ins Neue behindern. Eine Arbeit, die mir in diesen Momenten mehr und mehr hilft, ist die mit meinem inneren Kind. Ja genau: schon wieder dieses innere Kind. Da ich mich selber jahrelang gegen das Thema gesträubt habe und weiß, dass es vielen so geht, möchte ich im folgenden Artikel etwas mehr Licht in diesen Themenkomplex bringen, denn: Wenn wir uns dem öffnen – allen Vorurteilen zum Trotz – kann tatsächlich tiefgehende Heilung passieren, innerer Frieden eintreten sowie Mut zu einem selbstbestimmten und selbst gewählten Leben.

Das innere Kind: Worum geht es hier eigentlich?

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Der Begriff des „inneren Kindes“ steht für einen therapeutischen Erklärungsansatz. Das Konzept verdeutlicht den Zusammenhang zwischen frühkindlichen Erfahrungen und daraus entstandenen späteren Prägungen im Erwachsenendaseins. Dabei steht das innere Kind für alle in der Kindheit gemachten Erfahrungen, die in Körper und Gehirn abgespeichert wurden sowie die daraus entstandenen Verhaltensmuster, Gefühlsreaktionen und Annahmen über uns selber. Eine traumatische und sehr schmerzhafte Kindheit kann dazu führen, dass die Erinnerung an Teile davon später im erwachsenen Leben abgespalten und somit uns nicht direkt zugänglich sind. So schützen wir uns davor, Schmerzen des Kindes wie tiefe Hilflosigkeit, Zurückweisung, Liebesentzug, Verzweiflung und das Gefühl des Ausgeliefertseins immer wieder fühlen zu müssen. Auch wären wir oftmals schlicht überfordert oder sind unwissend im Umgang mit diesem verletzten Teil in uns.

Dieser Mechanismus erleichtert vordergründig unser tägliches Weiterleben. Seine Kehrseite: Mit der Trennung der Verbindung zu diesen Gefühlen der Kindheit, geht zumindest teilweise auch der Zugang zur positiven Seite der frühkindlichen Emotionen wie Neugier, Freude, Leichtigkeit, Unverfälschtheit, Spontaneität und Lebenslust verloren. Diese wunderbaren, menschlichen Aspekte fehlen uns oft im Erwachsenenalter, nehmen dem Leben Farbe, blockieren Weiterentwicklung und mutige Ziele.

Die Verletzungen der Kindheit und ihre Auswirkungen auf das Erwachsenendasein

Genauso alarmierend: Auch wenn wir uns an viele Situationen und Verletzungen der Kindheit nicht erinnern können, sie sind trotzdem in uns abgespeichert. Das macht sie für unseren Alltag umso „gefährlicher“, denn die Summe unserer kindlichen Prägungen wirkt sich in uns oftmals in Form unbewusster Denk-, Gefühls- und Verhaltensmuster aus.

Ein Kind, dessen Grundbedürfnisse nach Liebe, Sicherheit, Geborgenheit, Nahrung/genährt werden, lernen, sich experimentieren, die Welt entdecken etc. nicht erfüllt werden, sucht die Schuld dafür meistens bei sich. Erwachsene sind Vorbilder, an denen wir uns orientieren, die das eigene Überleben sichern oder vor denen wir im schlimmsten Fall Angst haben. Sie „können“ nicht verantwortlich sein, nicht kritisiert werden. Im Kind entstehen so Gefühle der tiefen, eigenen Unzulänglich- und Wertlosigkeit, des nicht geliebt Werdens, von Schuld und Scham. Daraus resultieren alle möglichen Formen von Ängsten, wie zum Beispiel die verlassen oder abgelehnt zu werden. Als seien diese sehr bedrückenden Gefühlen nicht schon belastend genug, führen Ängste oft zu einer Art Tunnelblick. Jedes Vorkommnis, selbst harmlose Alltagssituationen, werden gescannt auf die Gefahr hin erneut „Fehler zu machen“, nicht richtig zu sein. Positive Reaktionen auf die eigene Person, die zu neuer Selbstwahrnehmung führen könnten, werden unter diesem Druck meistens gar nicht wahrgenommen. So einseitig empfindsam und „wund“ reagieren wir oftmals auch auf harmlose Situationen extrem bis hin zur Eskalation. Eine kleine Bemerkung des Chefs kann zu schlimmsten Entlassungsspekulationen führen. Der Partner war heute früh sehr kurz angebunden und meldet sich schon seit ein paar Stunden nicht: Er wird mich verlassen! Deine gute Stimmung kippt plötzlich ins Bodenlose ohne dass du weißt, was die Ursache dafür ist?

Und du und dein inneres Kind?

Aber wie erkenne ich den Einfluss meines inneren Kindes auf mein heutiges Leben?
Für eine erste Ideen seines „Wirkungskreises“ in dir, fühl hinein in die folgenden Gedanken, Verhaltensweisen und Ausprägungen:

  • Du bist immer wieder mit ähnlichen Situationen/Erfahrungen konfrontiert (Partner mit bestimmten, schmerzhaften Verhaltensweisen, berufliche Konstellationen, Rolle bei familiären Zusammenkünften etc.)
  • Du übst starke Kontrolle auf dein Leben, deine Handlungen und das/die anderer aus?
  • Du neigst zur Perfektion, musst immer die Beste, Attraktivste, … sein?
  • Du hast im Leben schon viel (für andere) geschafft, fühlst dich aber trotzdem immer wieder zutiefst hilflos, nicht fähig zu Veränderungen?
  • Du versuchst Konflikte unter allen Umständen zu vermeiden, auch wenn du dabei deine eigenen Bedürfnisse hinten an stellst?
  • Du hältst auch an Menschen fest, die dir nicht gut tun, dich sogar verletzten?
  • In hoch emotionalen Situationen ziehst du dich auf deinen Intellekt zurück, versucht Gefühle zu rationalisieren?
  • Du nimmst dich oft zurück, hast das Gefühl Erfolg, Liebe, Fülle nicht verdient zu haben?
  • Du hast ständig Angst Fehler zu machen, nicht gut genug zu sein?
  • Du wartest darauf, dass das Außen sich verändert, jemand von außen dich sieht, erwählt, dir etwas Gutes tut?
  • Du kannst deine Bedürfnisse und Wünsche nicht aus dem Stehgreif nennen, bist dir ihrer vielleicht gar nicht bewusst?

Und: Haben einzelne Punkte etwas in dir berührt? Leidest du unter entsprechenden Konstellationen oder Verhaltensweisen und wie sie dein Leben einschränken? Das muss so nicht bleiben!

Die Arbeit mit dem inneren Kind

In der Arbeit mit dem inneren Kind wenden wir uns ihm liebevoll zu und stellen behutsam eine Verbindung zwischen diesen von uns abgespaltenen Aspekten und Erfahrungen und unserem heutigen, erwachsenen Dasein her. Je nach Schwere der persönlichen Geschichte oder wenn du das Gefühl hast, an manchen Stellen alleine nicht weiter zu kommen, ist es ratsam diesen Prozess von einem Therapeuten begleiten zu lassen. So zum Beispiel mache ich es: Manche Aspekte bearbeite ich mit mir bekannten Übungen allein, andere nehme ich mit in die Therapie.

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Im Prozess dieser Annäherung geht es zum einen darum, die alten Gefühle, Ängste sowie Zusammenhänge zu erkennen. Im nächsten Schritt versuchen wir behutsam diese Erfahrungen in tiefem Selbstrespekt und so vorurteilslos wie möglich „anzunehmen“. Mit annehmen meine ich nicht, dass wir sie gutheißen sollen o. ä., sondern sie als etwas in der Vergangenheit Liegendes, nicht mehr Veränderbares zu erkennen. Wir können nicht ändern, was passiert ist, unseren Blick darauf und die Interpretation der Situation aber sehr wohl: Die Bewusstwerdung der eigenen Geschichte wirft ein klärendes Licht auf unser Heute, warum wir wie fühlen, uns verhalten, erstarrt sind etc. Wir erkennen, dass wir Annahmen über uns und das Leben aus dem hilflosen Blick eines kleinen Kindes mit noch sehr „beschränktem Horizont“ gemacht haben. Realistischere Einschätzungen zu beispielsweise unzulänglichen Eltern und Mitmenschen oder Lebenskonstellationen durften bzw. konnten wir aus Loyalität und Unwissenheit in dieser Phase noch nicht treffen. Durch dieses neue Wissen treten alte Glaubenssätze in unser Gewahrsein. Diese können wir nun liebevoll mit Distanz beleuchten, in Frage stellen und somit auflösen.

Durch die wieder hergestellte Verbindung zu dieser frühen Lebensphase und die Empathie für diesen jungen Anteil findet Heilung tief in uns statt. Nach und nach erhalten wir in diesem Prozess erneut Zugang zu unseren frühkindlichen Gefühlen wie überschäumender Lebenslust, Freude, Urvertrauen, Übermut und Intuition. Damit schaffen wir eine stabilere Basis für Veränderungen in unserer heutigen Lebensrealität.

Eine erste Übungen zur Arbeit mit dem inneren Kind findest du hier.

Versuch’s!

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